Branding muss gelebt werden – nach außen wie nach innen. Thorsten Moser spricht über Markenentwicklung für Startups und etablierte Unternehmen.
Hallo Thorsten, du bist neben Johannes der zweite Inhaber und Geschäftsführer von Boana und hast dich auf Branding für digitale Produkte fokussiert. Kann man das so sagen?
Ja, ich arbeite seit 18 Jahren im Kreativbereich und komme tatsächlich aus der Markenentwicklung und Strategie. Und auch aus dem Bereich Werbung. Im Laufe der Jahre wurde immer klarer, wie viel Raum digitale Produkte und Services einnehmen und welche Möglichkeiten darin liegen. Vor fünf Jahren habe ich dann mit Johannes Boana gestartet, um digitale Produkte für Startups, den Mittelstand und größere Unternehmen zu bauen und sie dabei zu begleiten. Und immer wieder kam das Thema Branding – gerade auch aus dem Startup-Bereich – als Anfrage rein. Oder auch ein Re-Branding, also eine Markenerneuerung oder -weiterentwicklung für Unternehmen, die gemerkt haben, dass sie im Zuge der Digitalisierung ein anderes Auftreten für die neuen Kanäle benötigen oder dass sich die Ausrichtung ihres Unternehmens geändert hat. In der neuen Marke, im neuen Branding, sollte sich das widerspiegeln.
Bevor wir tiefer einsteigen, würdest du uns eine kurze Definition zu “Branding für digitale Produkte” geben?
Nicht nur für digitale Produkte gilt es, Branding als aktiven Prozess zu sehen. Das Unternehmen erzählt mit der Marke die Geschichte darüber, für was es steht, wie es wahrgenommen werden will und wie es sich von anderen Marken abgrenzen möchte.
Das Ganze unterteilt sich grob in drei Bereiche: Erstens die Brand-Story: Was sind meine Werte? Wofür stehe ich? Wie will ich draußen wahrgenommen werden? Zweitens die Brand Appearance, also die Erscheinung: Wie sieht mein Logo aus? In welcher Farbwelt bin ich unterwegs? Wie ist meine Tonalität? Und drittens die Brand Strategy: Auf welchen Kanälen erreiche ich eigentlich wie die Zielgruppe? Wie will ich meine Botschaften platzieren? Wie kann mit mir interagiert werden? Wo schaffe ich Markenerlebnisse? Branding ist also der aktive Prozess, das zu gestalten und zu steuern. Das wären jetzt ein paar mehr Sätze für die Definition …
Welche Fragen stellt ihr Startups, die noch nichts haben oder auch etablierten Unternehmen, die ihre Marke neu beleben möchten?
Da sprichst du einen interessanten Punkt an: Was ist das eigentlich für ein Unternehmen, das zu uns kommt? Wir fragen immer: Wo steht ihr gerade und was wollt ihr erreichen? Außerdem gilt für ein Startup genau so wie für eine etablierten Marke: Was sind die nächsten Schritte, die ihr umsetzen wollt?
Wir fragen Unternehmen immer: Wo steht ihr gerade und was wollt ihr erreichen?
Danach geht es dann schon relativ schnell um inhaltliche Fragen: Kennt ihr eure Zielgruppe? Seid ihr sicher, dass es nur eine Zielgruppe ist? Man hat das vielleicht bisher als eine einzelne wahrgenommen, aber durch Recherche oder durch Gespräche mit dem Sales Team des Unternehmens stellen wir dann fest, dass es unterschiedliche Zielgruppen sind, die eine individuelle Ansprache benötigen, weil sie natürlich individuelle Bedürfnisse haben.
Außerdem solche Fragen wie: Habt ihr schon mal die Markenwerte erarbeitet? Wisst ihr, was euer Versprechen ist, was eure Botschaft sein soll? Lebt ihr das auch? Zeigt sich das auf den Kanälen?
Das sind die Einstiegsfragen, um dann gemeinsam mit dem Kunden – häufig in einem Brand-Workshop – anschauen zu können, was an Fundament besteht, was noch gemeinsam erarbeitet werden muss und ob alle das gleiche Bild im Kopf haben, wenn wir die Markenwerte prüfen. Dabei ist das oberste Ziel, ein gemeinsames Verständnis der Marke entstehen zu lassen.
Kennt ihr das eigentlich, dass ihr in dieser Phase – ohne es zu wollen – manchmal auch in eine Art Unternehmensberater-Rolle geratet?
Eigentlich fast jedes Mal! Und das ist ein ganz, ganz spannender Punkt. Wir werden nach außen klar als Designstudio wahrgenommen, aber dass die Beratung so einen großen Anteil hat und so wichtig ist, das wird manchen Kunden tatsächlich erst in den Gesprächen mit uns klar.
Dass die Beratung so einen großen Anteil hat und so wichtig ist, das wird manchen Kunden tatsächlich erst in den Gesprächen mit uns klar.
Man hat gemeinsam die Markenwerte erarbeitet, es gibt das digitale Produkt, und dann geht es darum, wie sich dieses Markenversprechen im gesamten Unternehmen darstellen soll. Denn es gibt ja nicht nur die Kommunikation nach außen – also auf der eigenen Website, in den Social-Media-Kanälen, in der Werbung. Sondern dann sollte man sich fragen: Wie kommuniziere ich als Unternehmen eigentlich mit meinen Mitarbeitern? Haben sie die Marke verinnerlicht? Leben wir die Werte auch intern und was bedeutet das für unsere Prozesse? Müssen wir die umstellen? Wenn ich z.B. nach außen Transparenz vertrete, dann stellt sich die Frage: Lebe ich das auch nach innen? Das heißt: Mache ich als Firma für meine Angestellten meine Prozesse transparent oder auch meine Entscheidungen in der Geschäftsführerebene? Habe ich ein Silo-Denken oder arbeiten die unterschiedlichen Bereiche zusammen, tauschen sich aus und befruchten sich gegenseitig? Unterstützen sie sich in diesem gemeinsamen Ziel, die Markenwerte und das Produktversprechen zum Leben zu erwecken? Oder wie ist das, wenn sich Personen bei mir bewerben? Begrüße ich sie mit der gleichen Transparenz, die ich auch in meinem digitalen Produkt lebe? Und hier merken wir sehr schnell, dass Unternehmen erst verinnerlichen müssen, was das eigentlich alles bedeutet. Und was das für eine Umstrukturierung bei den eigenen Prozessen bedeuten kann. Wir sehen bei Kunden, die ihre Werte auch intern in ihren Prozessen umsetzen, einen enormen Mehrwert entstehen.
Wir sehen bei Kunden, die ihre Werte auch intern in ihren Prozessen umsetzen, einen enormen Mehrwert entstehen.
Darin, dass nicht nur ihr Produkt die Probleme der Nutzer löst, sondern dass vom Service-Mitarbeiter bis zum Onboarding-Prozess eines neuen Mitarbeitenden alles die gleiche hohe Qualität spiegelt, die die Firma sich in den Markenwerten mitgegeben hat. Es zeigt sich aber auch daran, dass sich das Customer Rating verbessert, dass die Kundenzufriedenheit steigt, dass die Kundenbindung länger hält und dass die Mitarbeiterfluktuation sinkt. Denn dann herrscht das Gefühl, dass die Firma in sich stimmig ist, dass diese Werte gelebt werden, die Menschen dies wahrnehmen und dementsprechend als Mensch wahrgenommen werden. Klingt vielleicht ein bisschen abstrakt, bedeutet aber, dass ich als Mitarbeitender eine ganz andere Bindung zu meiner Marke spüre und dementsprechend diese Markenwerte auch in meinen Arbeitsalltag übernehme. Das können angepasste oder neue Prozesse sein oder auch ein Umdenken in der Geschäftsführung, das die Firma im Kern stärkt und so auch das Produkt und schließlich auch den Umsatz. Das ist ein sehr spannender Prozess, das zu begleiten.
Das würde also bedeuten, dass Auftraggeber, die zu euch kommen, viel mehr erhalten, als sie zu Beginn erwartet haben, nicht wahr?
Ja, viele erwarten das nicht. Und klar, wenn du als Kunde an Branding denkst, dann denkst du an das neue Logo, die neue Kampagne oder die frischen Farben, die du gerne hättest. Du siehst aber zunächst nicht den Wandel, den ein neues Branding mit sich bringt, nach außen wie nach innen. Und auf wie vielen Ebenen und Berührungspunkten sich das Ganze abspielen kann.
Jede Interaktion, die ein Unternehmen mit einem Kunden hast, ist ja eine Markenwahrnehmung. Und die lässt sich steuern und beeinflussen.
Jede Interaktion, die ein Unternehmen mit einem Kunden hast, ist ja eine Markenwahrnehmung. Und die lässt sich steuern und beeinflussen, geht aber natürlich über Logo, Farben und schöne Bilder hinaus. Es bedeutet vielmehr noch: Wie schreibe ich? Wie klinge ich? Wie schreibe ich z.B. dem Kunden eine Mail zurück? Wie schnell antworte ich auf eine Anfrage? Was bedeutet es dann aber für meine internen Prozesse, wenn ich eine Anfrage schnell beantworten will? Wie müssen meine Mitarbeiter geschult sein? Welche Freiheiten gebe ich ihnen für die Gestaltung dieser Antworten?
Wir erhalten häufig Anfragen für ein neues Branding und das Unternehmen stellt dann in der Zusammenarbeit mit uns fest, dass das Thema doch größer gedacht werden sollte – ohne jetzt Angst zu machen, dass so etwas ausufert. Aber wenn ich meine Marke mit Leben füllen will, dann berührt das viele verschiedene Punkte in meinem Unternehmen.
In einem eurer Blogartikel sprecht ihr davon, dass Markenentwicklung nicht zwingend in einem Schritt erfolgen muss, sondern auch mehrstufig sein kann. Würdest du diese verschiedenen Stufen mal beschreiben?
Wir haben im Laufe der letzten Jahre gesehen, dass es – gerade auch bei Startups – ganz häufig darum geht: Wie kann ich schnell eine Grundlage schaffen, um im Markt zu bestehen? Um mein Produkt aktiv und besser vermarkten zu können und um als Firma mit meinem Angebot wahrgenommen zu werden. Und so kam die Idee auf zu sagen: Auch Branding ist ein iterativer, adaptiver Prozess.
Branding für den Start heißt: Was brauche ich jetzt sofort, um mein Produkt dem Markt auszusetzen?
Branding für den Start heißt: Was brauche ich jetzt sofort, um mein Produkt dem Markt auszusetzen? Von da aus kann dann weitergearbeitet werden, um zu sehen: Funktioniert meine Botschaft? Die besteht ja zu Anfang zunächst aus der Markenerscheinung und der Tonalität. Wir legen dann einmal grundlegend die Markenwerte und einen Claim für das erste einheitliche Auftreten fest. Und definieren eventuell noch gemeinsam mit dem Kunden, wo das Ganze stattfinden kann. Hier wird geschaut: Welche Kanäle sind am Anfang wirklich sinnvoll? Und welche sind nice-to-have? Das wäre das Branding für den Start.
Von dort ausgehend schaut man: Was brauche ich noch? Muss ich in eigenen Landingpages für unterschiedliche Zielgruppen denken? Will ich Kampagnen starten auf verschiedenen Kanälen, um neue Kunden zu akquirieren? Will ich mein Markenerlebnis – wie sprechen dann von “Branded Moments” – in mein digitales Produkt reinbringen? Das heißt: Gibt es dort kleine Interaktionen? Gibt es etwas, das meine Marke noch stärker in meiner App, in meiner Software erlebbar macht? Das sind alles Stufen, die nach und nach dazukommen können, wenn das Unternehmen an dem entsprechenden Punkt ist.
Hast du vielleicht einen Case parat, an dem du eine solche schrittweise Erweiterung einer Marke aufzeigen kannst?
Wir haben für unseren Kunden Kerberos ein Re-Branding gemacht. Zum Hintergrund: Das Unternehmen arbeitet im Bereich Geldwäsche-Prävention. Der Gesetzgeber hat Regularien erlassen, um Geldwäsche zu verhindern, an die sehr viele unterschiedliche Zielgruppen gebunden sind. Kerberos hat zusammen mit uns diesen Prozess digitalisiert. Bis dato lief die Kommunikation über sehr viele, sehr komplexe Formulare und hatte eine spitze Zielgruppe – größtenteils im Glücksspiel-Bereich. Kerberos wurde zudem als juristische Beratungsfirma wahrgenommen und (noch) nicht als Anbieter eines digitalen Service. Die Marke, mit der unser Kunde kam, passte zwar für das bestehende Umfeld, er wollte sich aber rundum neu aufstellen – mit einem neuen digitalen Produkt und der Ausrichtung auf neue Zielgruppen.
Das heißt, es wurde geschaut: Welche Zielgruppen gibt es? Welche davon möchte der Kunde ansprechen? Was sind deren Bedürfnisse? Wo stehen sie von ihrem Verständnis her? Welche Probleme möchten sie gelöst haben? Und wie können wir sie erreichen? In welcher Sprache müssen wir sprechen? Was muss die Marke ausstrahlen, damit bei den Kunden ein Vertrauen entsteht, sensible Daten mit Kerberos zu kommunizieren?
Das war insgesamt ein dreistufiger Prozess. Erst haben wir das bestehende Branding an die neue digitale Ausrichtung angepasst, danach die neue Tonalität und zielgruppengerecht die neue Sprache implementiert. Und dann im dritten Schritt geschaut, auf welchen Kanälen die Zielgruppe mit ihren Bedürfnissen erreicht werden kann, um das Produkt zu etablieren und bekannter zu machen. Damit haben wir eine Grundlage geschaffen, auf der der Kunde seine Marke jetzt eigenständig weiter ausbauen kann, um auch zukünftig auf die Bedürfnisse seiner Kunden einzugehen.
Meine letzte vorbereitete Frage – zu zielgruppengerechter Ansprache – hast du jetzt eigentlich schon beantwortet …
Naja, ich hätte da noch einen weiteren Case: unseren Kunden BuchhaltungsButler, der eine Buchhaltungssoftware anbietet – in einem sehr kompetitiven Markt. Buchhaltungsbutler hatte eine sehr breite Zielgruppe und eine ebenso breite Ansprache, während die Mitbewerber oft schon Sparten bzw. Teilbereiche für sich entdeckt hatten, in denen sie besonders gut sind.
Wir haben uns also mit dem Team von BuchhaltungsButler angeschaut: Wer sind die Kunden, die sie jetzt schon haben? Wo liegt noch ein Ausbaupotenzial? Welche anderen, spannenden Zielgruppen gibt es? Was ist eigentlich das Kernversprechen ihrer Software und was unterscheidet sie von den anderen Anbietern?
Nachdem wir das definiert und geclustert hatten, haben wir die Website von BuchhaltungsButler überarbeitet, um den zentralen USP explizit nach vorne zu bringen und drei unterschiedlichen Zielgruppen anzusprechen. In der Folge haben wir überlegt, auf welchen Kanälen die Kommunikation laufen soll, um diese Zielgruppen mit der neuen Botschaft, also mit einem klaren Versprechen, erreichen zu können.
Das Ganze hat dazu geführt, dass unser Kunde ein gutes Wachstum hingelegt hat.
Das Ganze hat dazu geführt, dass unser Kunde ein gutes Wachstum hingelegt hat. Die Steigerung war Ergebnis der klaren Ansprache, die wir gemeinsam entwickelt haben, um ihn optimal auf dem Markt zu positionieren. Auf den Punkt gebracht hieße das:
- Kenne deine Zielgruppen.
- Wisse, was deren Bedürfnisse sind.
- Erkenne deine Nische im Markt.
- Bringe deine Botschaft dorthin und erfülle das Versprechen.